Gute Lernräume zu finden ist häufig nicht so leicht. Bei jedem Training an einem unbekannten Ort fahre ich mit einem dezenten Gefühl der Aufregung dort hin und bin gespannt, was mich wohl erwartet – und wie ich diesen Raum so gestalten kann, dass er mir in die Karten spielt und nicht dagegen. Räume haben einen unglaublichen Einfluss auf uns – auf unser Lernen, unsere Kommunikation und sogar auf unsere Gesundheit. Alle Innenarchitekten, -designer und Feng-Shui-Experten, die das jetzt lesen, werden nicken – alle anderen vielleicht eher skeptisch gucken. Der Großteil unseres Lebens spielt sich in Räumen ab – und je nachdem, wie diese gestaltet sind, werden wir besser lernen, leichter miteinander kommunizieren, entspannter leben und inspirierter denken.
Starten wir mit den Lernräumen. Das sind die Räume, mit denen ich am häufigsten zu tun habe, und die mir das Leben oft schwerer machen, als es sein müsste. Ein guter Lernraum weist für
mich folgende Eigenschaften auf:
Soweit meine Wunschliste :) In der Realität habe ich solche Räume mit allen diesen Eigenschaften bislang nur bei abb-Seminare in Pößneck erlebt. Das andere Ende der Skala habe ich dagegen schon sehr häufig erlebt. Gut in Erinnerung ist mir beispielsweise ein
Kommunikationstraining für Azubis aus dem IT-Bereich in den Räumlichkeiten einer nicht-genannten großen Weiterbildungseinrichtung in NRW geblieben: Kleiner, enger Raum, Stuhlreihen mit großen,
schweren Tischen hintereinander gestellt, Fenster von Büschen zugewachsen und zur Krönung bauten die Azubis dann noch alle ihre mitgebrachten Laptops vor sich auf den Tischen auf. Übler als das
kenne ich es nur aus der Universität Duisburg-Essen, wo ich selbst studiert habe: Hier gibt es Räume, komplett ohne Fenster – von uns damals liebevoll Bunker-Räume genannt. So macht Lernen
Spaß!
Zurück zu den IT-Azubis. Nachdem ich Tag 1 unter diesen räumlichen Bedingungen einigermaßen über die Bühne gebracht hatte, gab es zum Glück noch Tag 2 – und diesmal war ich vorbereitet. Ich fuhr
deutlich früher zum Seminar, wuchtete die schweren Tische an die Wand oder aus dem Raum heraus und stellte in der Mitte einen Stuhlkreis. Die nach und nach eintrudelnden Azubis waren im ersten
Moment wenig begeistert, denn sie ahnten: Die Zeit des lustigen Konsums ist jetzt vorbei und das Arbeiten beginnt. Zu Beginn gab es noch einige rührende Momente, in denen ein paar TeilnehmerInnen
versuchten ihre aufgeklappten Laptops auf den eigenen Beinen zu balancieren – und dann konnte endlich richtig gelernt werden.
Ein gut gestalteter Raum ermöglicht nachhaltige Lernerfahrungen, denn er beeinflusst die Kommunikation. In engen Räumen mit hintereinandergestellten Tischen ist der komplette
Fokus auf mich als Dozentin gerichtet. Das ist toll, wenn man Frontalvorträge mag, aber wenig hilfreich, wenn man, wie ich, einen Ansatz verfolgt, in dem die TeilnehmerInnen in praktischen
Übungen und viel Austausch miteinander Inhalte erarbeiten. Dafür ist der Stuhlkreis (der in 70% der Fälle mit „Ah, heute anonyme Alkoholiker“ kommentiert wird) einfach die beste
Sitzform. Im Stuhlkreis kann jede jeden sehen, alle sitzen gleichberechtigt – keiner sitzt vorne, keiner hinten – und es gibt nichts, hinter dem man sich verstecken kann. Die optimale
Voraussetzung also dafür, dass ich tatsächlich mitarbeite und die Inhalte mich erreichen können.
Der Raum kann außerdem genutzt werden, um Inhalte zu vertiefen, in Erinnerung zu rufen und sogenanntes peripheres Lernen zu ermöglichen. Das funktioniert, in dem man Lerninhalte
im Raum befestigt (zum Beispiel in Form von Lern- oder Inspirationspostern mit Zitaten), die nicht explizit angesprochen, und trotzdem von den TeilnehmerInnen gelesen und aufgenommen werden.
Unbewusstes Lernen in seiner schönsten Form.
Jeder Raum ist ein Träger von Suggestionen: Er strahlt aus, ob es in ihm kreativ zugehen kann oder ernst, ob er liebevoll gestaltet ist oder Zweckraum, ob ich mich in ihm öffnen
kann, weil ich mich sicher und geschützt fühle, oder meine Gedanken besser zurückhalte. Hierauf sollten alle Weiterbildungsanbieter achten, denn sie beeinflussen mit ihrer Raumauswahl und
-gestaltung die Qualität des Lernens, die später in diesen Räumen stattfinden kann. Als DozentIn habe ich hier oft nur noch begrenzte Möglichkeiten, das zu retten, was zu retten ist –
indem ich beispielsweise durch mitgebrachtes Material eine Raummitte gestalte, ansprechende Flipcharts male und versuche, die Elemente im Raum so zu arrangieren, dass sie eine lebendige
Kommunikation in angenehmer Atmosphäre ermöglichen.
Dies gilt für Lernräume genauso wie für Arbeitsräume. Wer qualitativ hochwertige Arbeit erwartet, sollte es den Menschen räumlich leicht machen, diese auch entstehen lassen zu
können. Das geht mit Bereichen für Kommunikation und kreativen Austausch einher genauso wie mit Orten des Rückzugs und der Stille. Daher bitte ich alle GestalterInnen von Räumen
jeglicher Art: Bitte versucht aus den vorhandenen Ressourcen das Möglichste herauszuholen. Ich danke es euch schon jetzt.
(geschrieben im Oktober 2020)
Weitere Informationen zum Thema Räume und peripheres Lernen aus Sicht der Suggestopädie: Katja Riedel: Persönlichkeitsentfaltung durch Suggestopädie und Claudia Grötzebach: Lehren und Lernen mit Herz und Verstand
Das Thema der Räume in der Kommunikation verdient noch einmal einen eigenen Artikel. Einer der bekanntesten Forscher in diesem Bereich ist Edward T. Hall. Sein Konzept der Distanzzonen sowie der Einfluss von Räumen auf die Kommunikation ist hochspannend. Zum Einstieg empfehle ich: Edward T. Hall: Die Sprache des Raumes (im Original: The Hidden Dimension)
Wer ein wenig mehr von der Nutzung des peripheren Lernens und anderen Elementen der Suggestopädie erfahren möchte, ist herzlich eingeladen zu meiner Weiterbildung Crashkurs Train the Trainer beim Multikulturellen Forum in Lünen vom 06. - 08. Mai 2021. Die neuen Termine werden bald online sein.