Vom Spiel

Oder: Der schmale Grat zwischen Widerstand und Wissenserwerb

"Und jetzt steh’n wir mal alle auf und machen ein Sp…" Bitte nicht sagen! Das böse S-Wort ist das absolute Unwort im Training und hat manchmal heftige Reaktionen zur Folge – gerade, wenn die TeilnehmerInnen stark mit ihrer Rolle verbunden sind: Da kommt man als TrainerIn mit Augenrollen und leidenden Seufzern noch ganz gut weg. Selbst in meinen eigenen Train the Trainer-Seminaren gebe ich den TeilnehmerInnen immer mit, besser Übung oder gar nichts zu sagen, sondern einfach zu machen. Spiel löst einfach viel zu viele Widerstände aus. Dabei gibt es kaum etwas Besseres! Spielen eröffnet das Experimentier- und Lernfeld: Im Spiel kann ich mich ausprobieren und in neuen Situationen testen, Wissen verbreitern und verankern, von anderen lernen und auch mich selbst besser kennenlernen. Spielen ist einfach großartig!


Das Spielen ist dabei etwas zutiefst Menschliches. Wir tun es von klein auf – im Spiel erschließen wir uns unsere Welt, erlernen Kulturtechniken, Kommunikations- und Sozialformen. Laut Marshall Rosenberg, dem Entwickler der Gewaltfreien Kommunikation, gehört Spielen zu den menschlichen Bedürfnissen – wir brauchen das Spielen, um glücklich zu sein. Wer spielt, erfährt, vergisst alles um sich herum und fühlt sich in neue Situationen hinein. Im Rollenspiel (noch ein riesiges Igitt-Thema der meisten TeilnehmerInnen) hat man wie in keiner anderen Übung die Möglichkeit, sich selbst ungefährlich und mit überragenden Feedbackmöglichkeiten in alltägliche Situationen zu werfen und das eigene Verhalten auszutesten.

Ich selbst bin ein absolutes Spielkind. Nichts kann mich beim Lernen mehr begeistern, als wenn ich den Stoff im Spiel erfahre. Die ersten Spiele für Teams und Gruppen lernte ich während meiner Jugendgruppenleiterausbildung kennen: Hier ging es noch richtig zur Sache – das ist mit den kleinen Spielelementen in meinen heutigen Trainings kaum zu vergleichen. Wir erlernten beispielsweise das große Feld der New Games– Spiele für viele (ab 24 Personen aufwärts), die Ende der 60er-Jahre als Reaktion auf den Vietnamkrieg im Rahmen der Friedensbewegung in den USA entwickelt wurden. Oder Spiele für Deeskalationstrainings, in denen Jugendliche ihre Wut, ihren Frust und ihre Kraft auf spielerische Weise herauslassen konnten.

Durch Zufall stolperte ich viele Jahre später über den methodischen Ansatz der Suggestopädie und fand in dieser Lehr- und Lernmethode eine weitere Untermauerung für spielerische Trainings. In der Suggestopädie ist das Spiel ein klassisches Element: Die Vielfalt der Übungen, Methoden und Lernmaterialien sorgt dafür, dass alle Lerntypen angesprochen werden und es nicht langweilig wird. Außerdem wirken die spielerischen Übungen desuggestiv – schwieriges Wort. Es bedeutet, dass negative Glaubenssätze der TeilnehmerInnen, die das Lernen erschweren oder verhindern (zum Beispiel: "Ich konnte noch nie Mathe", "Schreiben ist einfach nicht mein Ding", "Vor vielen Leuten sprechen – das geht gar nicht"), in den Hintergrund treten oder sogar ganz abgebaut werden. Wer spielt, spielt ohne Druck – vielleicht sogar in einem Flow-Gefühl. In der Suggestopädie wird diese entspannte, angenehme und freudige Lernatmosphäre zusätzlich durch weitere Faktoren unterstützt. In so einem Gefühl lernt das Gehirn leichter, da die neuen Inhalte zum einen leichter durch die körpereigenen Wahrnehmungsfilter ins Gedächtnis dringen und zum anderen mit positiven Emotionen verknüpft werden. All das ist gut fürs langfristige Erinnern.

Die richtige Mischung von Input und spielerischen Elementen im Training ist dabei oft ein schmaler Grat. Ich weiß nicht, wann viele Menschen die Lust und Freude am Spiel verlieren. Im Jugendalter hat es mit Sicherheit etwas mit Cool sein und nicht mehr Kindsein zu tun, aber danach? Vielleicht hängt es mit negativen Erfahrungen zusammen, die in anderen Trainings gemacht wurden – da muss ich zugeben, höre ich manchmal gruselige Geschichten (und hoffe, dass diese Geschichte nicht über meine Trainings erzählt werden). Auch die alten Glaubenssätze "Wir sind hier nicht zum Spaß!" oder "Erst die Arbeit – dann das Vergnügen" spielen mit Sicherheit in die negative Haltung dem Spiel gegenüber hinein. Die neueste (wirklich großartige) Technik, die ich vor ein paar Wochen gelernt habe, ist die Methode LEGO® Serious Play®. Man beachte die Betonung auf Serious. Wirkliche Anerkennung für das spielerische Lernen funktioniert erst, wenn die Ernsthaftigkeit und Arbeit dahinter deutlich werden. Und auch der kulturelle Hintergrund hat einen großen Einfluss: Gerade im osteuropäischen, russischen oder arabischen Kulturraum findet schulisches Lernen oft in einem sehr starren, autoritären Kontext statt. Hier verspiele ich mit meinen spielerischen Lernelementen gegebenenfalls jeden Funken an Anerkennung und Respekt, den die TeilnehmerInnen vor mir als Dozentin hatten. Daher gilt wie immer, die Zielgruppe mit ihren Erwartungen, Wünschen und Erfahrungen genau im Blick zu haben.

Und trotzdem: Spielen kann was! Oft probiere ich zunächst kleine Dosen aus, um mich an eine Teilnehmergruppe heranzutasten. Die Aktivierung nach der Mittagspause ist meistens ungefährlich. Außerdem kann ich je nach Seminarthema auch ein bestimmtes Maß an Spielfreude erwarten. TeilnehmerInnen in Train the Trainer-Seminaren machen in der Regel deutlich mehr mit, als die Menschen, die zu einem Arbeitssicherheitstraining mit entsprechenden Erwartungen kommen.

Wer diesen Artikel liest und selbst Seminare gibt, den oder die kann ich nur ermuntern: Trau dich ruhig spielerische Methoden einzubinden! Die eigene Sorge vor der Reaktion der TeilnehmerInnen ist oft die größte Hürde. Wie viele Seminare bleiben dadurch auf einem Level des Frontalvortrags mit Gruppenarbeit und Flipchartpräsentation zur anschließenden Diskussion. Es geht mehr im Training! Lernen kann so entspannt und lustig sein, dass man gar nicht mehr merkt, wie man lernt. Das ist das große Ziel. Und hier kann das Spiel im Training (natürlich eingeführt als Trojanisches Pferd unter einem Alternativbegriff) mit Sicherheit helfen.

(geschrieben im Juni 2020)

Zum Weiterlesen und Weiterspielen:

Ein Blick in die Klassiker: Erich Ziegler: Das australische Schwebholz und 199 andere Spiele für Trainer und Seminarleiter


Zum Thema Suggestopädie: Zamyat Klein: Das tanzende Kamel. Kreative und bewegte Spiele für Trainings und Seminare


Zum Thema New Games: Andrew Fluegelman & Shoshana Tembeck: New Games. Die neuen Spiele


Zum Thema LEGO® Serious Play®: Sean Blair & Marko Rillo: Serious Work. Meetings und Workshops mit der LEGO® Serious Play®-Methode moderieren


Ein tolles Spiel zur Reflexion des eigenen Unternehmens, das ich bei den Guten Botschaftern kennengelernt habe: Eigenland


Und unendlich viele Spieleseiten im Netz – einfach suchen!


Zum Mitnehmen und Ausprobieren:

Anbei findest du ein Merkbild zum Download auf dein Smartphone, auf dem ein paar Tipps zum Spiele anleiten zusammengefasst sind, die ich aus einem Dokument von Frank Lehwald zum Thema New Games entnommen habe.

Viel Spaß beim Ausprobieren und vor allem beim Spielen :-)



Kleiner Werbeblock am Rande

Wer einen Blick in die Methodenkiste der Suggestopädie werfen möchte, ist herzlich eingeladen zu meinen Methoden-Forum-Seminaren beim Multikulturellen Forum in Dortmund. Aktuell findet nur der Aufbaukurs statt, aber auf Nachfrage kann ein weiterer Grundlagenkurs geplant werden.

 

Außerdem bin ich seit diesem Monat endlich in der Methode LEGO® Serious Play® ausgebildet und freue mich schon jetzt darauf, die Technik in Moderationen oder Coachings einzusetzen. Meldet euch gerne bei mir mit euren Anliegen!