Wir alle tragen Masken. Manchmal sind wir uns ihrer sehr bewusst und manchmal spüren wir sie gar nicht. Masken gehören zum Leben dazu: Sie sind Begleiter unserer Rolle, sie schützen uns und helfen uns in der uns umgebenden Gruppe zu bestehen. Masken verdecken aber auch Teile von uns. Oft diejenigen Teile, von denen wir nicht möchten, dass andere sie sehen. Auch dies kann sehr hilfreich sein. Manchmal übernimmt unsere Maske jedoch eine Eigendynamik: Dann möchten wir gerne mehr von uns, von dem „wahren Selbst“, was sich dahinter verbirgt, zeigen – schaffen es aber nicht mehr, unsere Maske abzusetzen, weil sie bereits so tief mit uns und unserer Persönlichkeit verwachsen ist.
Masken haben sehr viel mit unserer Rolle zu tun. Mit Rolle meine ich die Position und Funktion, die wir in unserer Gruppe einnehmen: Ob als Mutter oder Vater, ob als Arbeitnehmer
oder Arbeitgeber, als Politiker, Gewerkschafter, Künstler oder Papst – immer sind mit unserer Rolle bestimmte Erwartungen unserer Umgebung an uns verbunden, die wir in der Rolle zu erfüllen
haben. Spielen wir die Rolle gut, erfüllen wir diese Erwartungen und tragen unseren nötigen Teil zum Ganzen bei. Die Maske, die wir dabei aufsetzen ist nur ein Teil unserer Inszenierung. Die
passende Wortwahl, das richtige Kostüm und die entsprechenden Accessoires gehören oft auch noch dazu. Hinter unserer Inszenierung verbirgt sich aber immer unsere Person – unsere Persönlichkeit.
Mit Person bezeichne ich das, was uns ausmacht: unsere Vergangenheit, unsere Einstellungen und Werte, unsere Wünsche und Träume, kurzum: unsere Identität.
Unser tägliches Leben, insbesondere unser Arbeitsleben, ist ein ständiges Wechselspiel dieser beiden Pole – Rolle und Person. Häufig befinden wir uns im Modus der Rolle und das ist wichtig. Ohne
Rollen würde unser Arbeitsleben nicht funktionieren. Es ist wichtig, dass wir in unserem Auftreten die an die Rolle gestellten Erwartungen erfüllen und unseren Beitrag entsprechend der
Rollenanforderungen leisten. Dies sorgt für Verbindlichkeit und Sicherheit in der Gruppe: Ich weiß, inwiefern ich mich auf die einzelnen Rollenträger verlassen kann.
Der Pol, der damit gerade im Arbeitsleben oft sehr klein wird, ist die Person. Manch einer mag jetzt sagen: Der Teil hat da auch nichts zu suchen! Auf der Arbeit sind wir nicht, um Spaß zu haben
und es interessiert auch nicht, welche persönlichen Befindlichkeiten jemand hat, solange er oder sie seine Aufgabe erfüllt. Da ist mit Sicherheit auch etwas Wahres dran und trotzdem: Wer
ständig eine Maske trägt, ist nicht nur geschützt, sondern auch entfernt. Es wird für andere dadurch schwieriger in Verbindung zu kommen. Manchmal hat man sogar das Gefühl, dass gar
keine ehrliche, authentische Reaktion möglich ist, weil man nur mit der Maske redet und nicht mit der wahren Person dahinter.
Masken abzulegen, einen Blick dahinter zuzulassen, etwas Persönliches preiszugeben, erfordert Mut. Und Sicherheit: Das Gefühl, dass mir in dieser Gruppe nichts passiert, auch wenn ich
mich zeige, wie ich eigentlich bin. Aktuell passiert in diesem Punkt etwas in den Unternehmen: Frederic Laloux berichtet in seinem Buch Reinventing Organizations darüber, dass
die Menschen sich wieder als Ganzes zeigen – die Maske abnehmen und die Person stärker in den Vordergrund tritt. Gewaltfreie Kommunikation wird in Organisationen unterrichtet und sorgt dafür,
dass Gefühle und Bedürfnisse aussprechbar werden. Aktuell gibt das Homeoffice uns Einblicke in persönliche Sphären, die vorher auf der Arbeit nichts zu suchen hatten.
Ich möchte an dieser Stelle dazu ermuntern, die Maske, die wir alle tragen, bisweilen abzulegen und auszuprobieren, was ohne sie möglich ist. Ich weiß, dass das nicht leicht ist. Masken
abzulegen bedeutet Schutz aufzugeben und damit auch, Verletzlichkeit zu riskieren. Ich bin mir aber auch sicher, dass wir allein mit Masken nicht mehr weiterkommen. Wenn wir gute
und menschenfreundliche Organisationen gestalten möchten, wenn wir gesellschaftlich etwas bewegen wollen, wenn wir Konflikte und Probleme als Mit-Menschen lösen möchten, brauchen wir mehr Person,
mehr Gefühle, Bedürfnisse, individuelle Geschichten und Hintergründe in der Kommunikation, um gemeinsam zu einer guten Lösung zu kommen.
Diese Kolumne ist mein eigenes, persönliches Experiment zum zeitweisen Ablegen der Maske. Ich bin mir noch nicht sicher, wie es ausgeht und ringe oft genug mit Formulierungen und
Rollenanforderungen herum. Manchmal kann es helfen, wenn der andere einen Blick hinter die Maske erlaubt, damit auch ich selbst mich traue, etwas mehr von meiner eigenen Person hindurchscheinen
zu lassen. Ich hoffe, dass vielleicht auch du – liebe Leserin und lieber Leser – ermuntert wirst, ab und zu mit dem Ablegen deiner Maske zu experimentieren. Ohne Maske atmet es sich
leichter. Und auch das erfahren wir ja gerade in Corona-Zeiten auf ganz praktische Weise jeden Tag.
(geschrieben im Mai 2020)
Die Grundlagen zum Thema Rolle und Person – Insbesondere interessant für Führungskräfte: Rainer Molzahn: Tough Love. Führen ist Beziehungsarbeit. Ständig
Ein praktischer und leicht zu lesender Einstieg in die Gewaltfreie Kommunikation: Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen
Und zu guter Letzt: Eins meiner Lieblingsbücher – nicht nur interessant zum Thema Ganzheit, sondern insgesamt für Ideen und Inspiration für zukunftsgerichtete Organisationen: Frederic Laloux:
Reinventing Organizations. Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit
Auf diesem Informationsblatt findest du weitere Informationen zum Thema Rolle und Person – auch mit Blick auf mögliche Fragestellungen im Coaching.
Falls deine Maske schon ziemlich fest sitzt und es dir schwer fällt, sie überhaupt noch abzunehmen, kann ein Coaching für dich hilfreich sein. Aber auch, wenn du nicht genau weißt, wie viel Maske in deiner Rolle nötig wäre oder insgesamt mit deiner Rolle haderst – melde dich gerne bei mir. Ich freue mich darauf, dich bei deinem Ringen mit Rolle und Person zu unterstützen!